Wie lassen sich atypische Bauteile maschinell bestücken?
In der Elektronikfertigung in Deutschland bestimmen hochwertige Baugruppen, geringe Stückzahlen und untypische Bauteile den Trend. Je spezieller die Baugruppen, umso häufiger müssen nicht normgerechte, atypische Bauteilgeometrien verarbeitet werden. Der EMS-Dienstleister Ihlemann geht bei der Bearbeitung solcher Bauteile neue Wege.
Je spezieller ein Bauteil und je geringer die Stückzahl, umso häufiger fehlt es an einer maschinengerechten Standardverpackung für die SMD-Elektronikfertigung. Diese Bauteile müssen dann per Hand bestückt werden, was häufig zu Qualitätsproblemen und teurer Nacharbeit führt.
Ihlemann illustriert die aktuelle Entwicklung am Beispiel eines Steckers aus der Industrieelektronik. Wegen der geringen Stückzahlen bietet der Hersteller keine Verpackung für die maschinelle Verarbeitung. Die Handbestückung stellt sich als problematisch dar, weil bei den 220 Pins des Steckers die exakte Positionierung und die immer gleichbleibende Ausrichtung und Andruckstärke nicht garantiert werden kann. Ihlemann hat in seiner Fertigung eine 100%ige Kontrolle aller bestückten Leiterplatten und hier werden 34 % der gelöteten Stecker als fehlerhaft und nachbearbeitungsbedürftig erkannt. Vielfach ist von den 220 Pins lediglich ein Beinchen nicht IPC-konform gelötet. Die Lötverbindung ist dadurch fehlerhaft und muss nachgelötet werden.
Solche Bauteile, die nicht dem Normstandard entsprechen, gibt es viele. Dazu gehören u. a. Stecker, Übertrager, Relais, Spulen oder Abschirmbleche. Sie werden häufig spezifisch und nur in kleinen Mengen produziert, sodass eine maschinengerechte Verpackung für den Hersteller nicht wirtschaftlich ist. Ohne diese maschinengerechte Zuführung in die Bestückungsautomaten bleibt nur die Handbestückung. Die manuelle Verarbeitung dauert allerdings mehr als doppelt so lange und verzögert den Fertigungsablauf. Kommt es qualitätsbedingt zu Nacharbeiten, steigen die Kosten und die Fertigstellung des Produktes verspätet sich nochmals. Hier setzt die Ihlemann GmbH an.
Umstellung auf eine flexible Fertigung
„Wir haben die Krise 2009 dafür genutzt, um unsere Produktionsweise komplett zu verändern“, so Bernd Richter, Vorstand bei Ihlemann. Der EMS-Dienstleister setzt seitdem auf Lean-Management-Prinzipien. Grundlagen sind die Neuorganisation der Fertigung nach dem Fluss-Prinzip, tägliche Verbesserungsroutinen durch die Mitarbeiter in der Fertigung (Verbesserungs-Kata) und eine kontinuierliche Unterstützung durch Coaching-Routinen (Coaching-Kata).
Im neuen Fertigungsablauf erfolgen jetzt alle Tätigkeiten für jedes einzelne Board direkt nacheinander in einem verknüpften Prozess. Dafür durchläuft auch ein komplexes Board in einer Fertigungszelle (U-Zelle) alle für den Produktionsprozess benötigten Arbeitsschritte direkt nacheinander. Das Board wird bestückt, getestet und noch in der Fertigungszelle auf Fehler geprüft und anschließend zur Auslieferung bereitgestellt. Die Anforderungen dieses Fluss-Prinzips waren anfangs nur schwer umsetzbar, weil es immer wieder neue Hindernisse gab.
Aus Sicht der Ihlemann AG macht besonders die Fähigkeit zur Überwindung solcher Schwierigkeiten das Wesen der neuen Organisation aus. Durch einen tagtäglichen Verbesserungszyklus werden Veränderungen systematisch und mit festen organisatorischen Routinen bewirkt (Verbesserungs-Kata). Diese Fähigkeit, tagtäglich kleine Verbesserungsschritte zu erreichen und die Fertigung schneller und effizienter zu machen, wendet der Dienstleister auch bei der Verarbeitung „schwieriger“ Bauteile an.
Hilfen für atypische Bauteile
Der Stecker mit den 220 Pins sollte automatisch bestückt werden. Das war die Zielvorgabe für den Verbesserungsprozess. Weil dieses Bauteil weder in Blistergurten, JEDEC-Trays noch in anderen Verpackungsformen für die weitere maschinelle Verarbeitung geliefert wurde, suchten die Mitarbeiter der SMD-Fertigungszelle nach einer eigenen maschinengerechten Zuführung. Hier gab es bereits zahlreiche Erfahrungen mit der Entwicklung von Hilfsmitteln und Vorrichtungen, um Arbeitsprozesse einfacher und effizienter zu machen. Der Verbesserungsprozess startete mit einer ersten Idee, die geprüft und wieder verworfen wurde. Es folgte eine neue Idee, die bereits besser passte. Sie wurde wieder überprüft, verbessert, nochmals überprüft und über drei Monate in vielen kleinen Verbesserungszyklen soweit entwickelt, dass sie einsetzbar war. Die maschinengerechte Zuführung für den Stecker war gefunden und die manuelle Bestückung nicht mehr erforderlich. Mussten anfangs 34 % der Stecker nachbearbeitet werden, verringerte sich die Quote durch das Hilfsmittel auf 0,5 %. Damit konnten die Kosten gesenkt, die Verarbeitungszeit des Steckers verkürzt und die Durchlaufzeit verringert werden.
Für die technische Umsetzung solcher Hilfsmittel verfügt der EMS-Dienstleister über einen eigenen Vorrichtungsbau. Die Vorgaben zur Umsetzung stammen von den Mitarbeitern, die den Verbesserungsprozess vorantreiben. Beim Bau solcher Zuführungen und anderer Hilfsmittel in der Fertigung verfügt der EMS-Dienstleister inzwischen über mehrjährige Erfahrungen.
„Durch die vielen Erfahrungen aus den Verbesserungsprozessen sind wir heute in der Lage, auch atypische Bauteile effektiv und mit einem sehr hohen Qualitätsstandard zu verarbeiten“, fasst Bernd Richter die Erfahrungen zusammen. Er berichtet, dass die Elektronikfertigung durch die neue Produktionsorganisation wesentlich flexibler geworden ist. Das zeige sich nicht nur bei atypischen Bauelementen. So würden ohne erhebliche Risiken sowohl kleine als auch große Losgrößen umgesetzt. Die Stückzahlen seien einfacher skalierbar und erste Baugruppen können bereits nach wenigen Stunden ausgeliefert werden.
Durch die ständige Prozessverbesserung als Organisationsprinzip sieht sich der EMS-Dienstleister wesentlich anpassungsfähiger und zukunftssicherer aufgestellt. Die Durchlaufzeit hat sich demnach gravierend verkürzt, Änderungen lassen sich wesentlich schneller umsetzen, der Qualitätsstandard hat sich dadurch weiter erhöht und die Liefertreue verbessert.