Mehr Anwendungen für Flying-Probe-Tests
Fehlerquoten unter 1% sind bei der Fertigung von elektronischen Baugruppen ein gutes Ergebnis. Dennoch sind immer mehr Hersteller damit nicht mehr zufrieden. Die Herausforderung: Immer kompaktere Baugruppen mit steigenden Funktionsdichten schaffen zusätzliche Fehlerquellen. Die Antwort darauf ist eine erhöhte Testtiefe, was viele Designs aber erheblich erschweren. Die Ihlemann AG setzt deshalb stärker auf Flying-Probe-Tests.
„Bei den gefertigten Baugruppen ist das Qualitätsniveau innerhalb von sechs Jahren um den Faktor fünf gestiegen. Die Zahl der Rückläufer von Kunden liegt aktuell bei 0,68 % und wir streben im nächsten Schritt eine Quote von unter 0,5 % an“, nennt Bernd Richter, Vorstand bei der Ihlemann AG, aktuelle Qualitätskennzahlen.
Aus Sicht der Ihlemann AG konnte die Qualität durch neue Fertigungs- und Prüfverfahren erheblich gesteigert werden – trotz Miniaturisierung und höheren Packungsdichten. „Wir haben sehr gute Erfahrungen mit der 3D-Pasten-AOI, einer schnellen Bestückungs-AOI in Verbindung mit der 3D-Erkennung sowie mit der Röntgenkontrolle bei verdeckten Lötstellen. Bei den anschließenden Funktionstests spielen Lötfehler praktisch keine Rolle mehr“, beschreibt Richter den Fortschritt. Trotzdem behalten die elektrischen Tests ihre Berechtigung. Während früher überwiegend Lötfehler gefunden wurden, stehen heute Qualitätsmängel von Bauteilen oder Leiterplattenfehler im Vordergrund. Eine weitere Fehlerquelle sind falsch etikettierte Bauteile in der richtigen Bauform aber mit abweichenden Bauteileigenschaften. Außerdem kann das fehlerfreie Zusammenspiel von Baugruppe und Firmware erst im Funktionstest überprüft werden.
Tests werden in der Entwicklung nicht berücksichtigt
Jeder elektrische Netzknoten sollte mit einem Testpunkt versehen werden. Entwickler verzichten aber zunehmend auf die Einrichtung von solchen Punkten, weil es häufig am Platz für die Testpads fehlt. Ohne diese Testpunkte sind In-Circuit-Tests (ICT) zur Prüfung der elektrischen Funktionen nicht mehr möglich. In solchen Fällen können die fertigen Produkte vom Hersteller erst unmittelbar vor der Auslieferung intensiv geprüft werden. Werden dann bei den bereits komplett montierten Geräten Fehler in den elektrischen Eigenschaften der Bauteile entdeckt, müssen ganze Fertigungschargen geöffnet und Bauteile ausgetauscht werden. Ein immenser Aufwand.
Flying Probe für Prototypen und Teilfunktionstests
Ihlemann setzt inzwischen Prüfzellen zur ganzheitlichen Prüfung ein, um in einem unterbrechungsfreien Verfahren alle manuellen, optischen und elektrischen Tests mit einer 100-prozentigen Testtiefe durchzuführen.
Eine besondere Anwendung von FPT erfolgt bei Ihlemann in der Prototypenfertigung und ergänzt die Entwicklungsverifikation. Da bei frühen Prototypen die Fehlerquellen sehr vielfältig sein können und die Fehleranalyse entsprechend aufwendig ist, dient der FPT zur Fehlereingrenzung. Die notwendigen Prüfprogramme für Prototypen sind mit den richtigen Daten (ODB++) relativ einfach und schnell erstellt und ermöglichen, dass mit geringem Aufwand Bauteilwerte vermessen, Spannungen geprüft oder Messreihen durchgeführt und so Baugruppenfehler schnell erkannt werden können.
Ihlemann nutzt die FPT außerdem, um ergänzende Teilfunktionstests in die Prüfung zu integrieren. Ein typisches Beispiel sind Funktionstests für Relais, die in den FPT integrierbar sind. Für Hersteller, die eine mehrmalige Beschaltung des Relais vor der Erstinbetriebnahme empfehlen, wird im FPT z. B. ein fünf-maliger Schaltvorgang durchgeführt. Eine ähnliche Anforderung gilt für Netzteile, die vor der Auslieferung unter Spannung gesetzt und deren Spannungswerte überprüft werden sollen.
Eine weitere Anwendung ist die Übertragung von Firmware auf fertige Baugruppen. Da während der Prototypenphase oft noch keine fertige Firmware vorliegt, muss dies nach der Null-Serienfertigung erfolgen. Durch die Integration in den FPT kann hier ein ganzer Arbeitsschritt eingespart werden.
Neue Testmöglichkeiten und größere Fehlerabdeckung
Durch den Flying Probe ergeben sich außerdem neue Testmöglichkeiten, beispielsweise eine kapazitive Messung für Lötstellen von Steckern. Optische Kontrollen sind hier häufig nicht ausreichend, weil kritische Lötstellen verdeckt werden. Eine Funktionsprüfung mit einem Gegenstück ist problematisch, da Stecker mechanisch sehr empfindlich sind und Pins durch die Beanspruchung leicht verbogen werden können. Der FPT ist hier eine Alternative, weil er eine kontaktlose elektrische Prüfung ohne einen mechanischen Kontakt ermöglicht.
„Wir weiten den Flying-Probe-Test aktuell deutlich aus, weil der Bedarf gestiegen ist und wir auch bei hochkompakten Flachbaugruppen eine sehr hohe Fehlererkennung erreichen. Außerdem sind die Tests ohne prüflingsspezifische Adapter und durch eine einfache Testprogrammerstellung sehr flexibel einsetzbar“, fasst Bernd Richter die Erfahrungen zusammen.